Das Reverse-Charge-Verfahren führt häufig zu Unsicherheiten, obwohl es ein zentraler Bestandteil des Umsatzsteuerrechts ist. Es verlagert die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger und wird sowohl im deutschen Umsatzsteuergesetz (§ 13b UStG) als auch im europäischen Binnenmarkt eingesetzt. Wer die Voraussetzungen kennt und korrekt abrechnet, vermeidet Rückfragen des Finanzamts.
In diesem Beitrag erfährst du, wann Reverse Charge angewendet wird, welche rechtlichen Grundlagen gelten und welche Angaben eine Reverse-Charge-Rechnung enthalten muss.
Was bedeutet Reverse Charge?
Reverse Charge bedeutet, dass nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet. Das betrifft zwei unterschiedliche Bereiche:
- EU-weite B2B-Dienstleistungen
Du arbeitest aus Deutschland für einen Kunden im EU-Ausland. Hier liegt der Leistungsort beim Empfänger (§ 3a Abs. 2 UStG).
Die Rechnung erfolgt ohne deutsche Umsatzsteuer, da die Steuer im Ausland entsteht.
Rechtsgrundlage: Art. 44 und Art. 196 MwStSystRL. - In Deutschland steuerbare Umsätze nach § 13b UStG
Hier bleibt der Leistungsort in Deutschland, aber die Steuerschuld geht auf den Empfänger über.
Beispiel:
Ein deutscher Webdesigner erstellt eine Website für ein Unternehmen in Österreich.
→ Leistungsort: Österreich (EU-Dienstleistungsregel)
→ Rechnung ohne deutsche Umsatzsteuer
→ Steuererklärung in Österreich (Reverse Charge)
Wie funktioniert das Reverse-Charge-Verfahren?
Im normalen Umsatzsteuerverfahren stellt der Leistende eine Rechnung mit Umsatzsteuer aus und führt diese ab.
Beim Reverse-Charge-Verfahren gilt:
- Der Leistende stellt eine Nettorechnung aus.
- Der Leistungsempfänger meldet die Umsatzsteuer selbst an (USt-Voranmeldung/Jahreserklärung).
- Ein Vorsteuerabzug ist möglich, wenn der Empfänger vorsteuerberechtigt ist.
- Der Leistende dokumentiert in seiner Meldung, dass Reverse Charge angewendet wurde.
Bei EU-Dienstleistungen erfolgt die Steuererklärung im Land des Empfängers. Bei deutschen Reverse-Charge-Fällen greifen die Voraussetzungen des § 13b UStG.
Wann kommt das Reverse-Charge-Verfahren zur Anwendung?
Reverse Charge ist nicht einheitlich geregelt. Man unterscheidet zwei Fälle:
1. EU-weite B2B-Dienstleistungen
Wenn du als in Deutschland ansässiger Unternehmer für ein Unternehmen in einem anderen EU-Land arbeitest, gilt:
Die Umsatzsteuer entsteht im Land deines Kunden, nicht in Deutschland.
Du stellst daher eine Rechnung ohne deutsche Umsatzsteuer aus, und der Kunde versteuert die Leistung in seinem Land.
Beispiel:
Du arbeitest als Designer in Deutschland für ein Unternehmen in Spanien: Du rechnest netto ab, der spanische Kunde meldet die Umsatzsteuer in Spanien.
In diesem Fall musst du auf deine Rechnung einen klaren Hinweis mit Bezug auf das Gesetz schreiben:
„Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers. Kein Ausweis deutscher Umsatzsteuer gemäß § 3a Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 196 MwStSystRL.“
Englisch (empfohlen bei internationalen Kunden):
„Reverse charge – VAT to be accounted for by the recipient according to Article 196 of Directive 2006/112/EC.“
2. Reverse Charge in Deutschland (§ 13b UStG)
Hier wird die Leistung in Deutschland ausgeführt, und die Umsatzsteuer geht auf den Empfänger in Deutschland über. Das gilt nur für bestimmte gesetzlich definierte Leistungen und Lieferungen.
Beispiel:
Ein ausländischer Handwerker montiert etwas bei einem deutschen Unternehmen. Der deutsche Auftraggeber schuldet die Umsatzsteuer.
Reverse Charge gilt in Deutschland insbesondere in folgenden Bereichen:
- Leistungen ausländischer Unternehmen im Inland
- Bauleistungen
- Gebäudereinigung
- Schrott- und Metallhandel
- Goldhandel
- Mobilgeräte, Tablets, Chips (ab bestimmtem Auftragswert)
- Gas- und Stromhandel
- Telekommunikationsleistungen
In diesem Fall ist folgender Hinweis auf deiner Rechnung Pflicht:
Deutsch (Standardformulierung):
„Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gemäß § 13b UStG.“
Englisch (empfohlen bei internationalen Kunden):
“Reverse charge – VAT is payable by the recipient according to § 13b of the German VAT Act (UStG).”
Voraussetzungen für die Anwendung des Reverse Charge Verfahrens
Damit Reverse Charge korrekt angewendet werden kann, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
1. B2B-Leistung
Der Empfänger muss Unternehmer sein.
2. Nachweis der Unternehmereigenschaft
Regelfall: USt-IdNr.
Alternativ möglich:
- Gewerbeanmeldung
- Handelsregisterauszug
- objektiv überprüfbare Geschäftsunterlagen
Seit BFH-Urteil vom Januar 2024 ist die USt-IdNr. nicht zwingend, wenn die Unternehmereigenschaft anderweitig eindeutig nachweisbar ist.
3. Reverse-Charge-Hinweis auf der Rechnung
Erforderlich, wenn Reverse Charge nach EU-Regel oder § 13b anzuwenden ist.
4. Bescheinigungen bei bestimmten Leistungen
Für Bauleistungen und Gebäudereinigung benötigt der Empfänger eine § 13b-Bescheinigung vom Finanzamt.
Unterschiede zwischen B2B und B2C
| Leistungsempfänger | Steuerpflicht |
|---|---|
| Unternehmen (B2B) | Empfänger schuldet die Steuer (Reverse Charge) |
| Privatperson (B2C) | Leistender schuldet die Steuer (deutsche USt) |
Reverse Charge gilt grundsätzlich nicht für Privatkunden, mit Ausnahme einzelner Erwerbstatbestände bei Warenkäufen.
Neue Entwicklungen ab 2025
1. EU-Sonderregelungen verlängert
Bestimmte Anti-Betrugs-Maßnahmen im Zusammenhang mit Reverse Charge dürfen weiterhin eingesetzt werden.
Sie betreffen jedoch nicht das allgemeine Reverse-Charge-Verfahren, sondern nur spezielle Risikobereiche (z. B. bestimmte Metall- oder Elektroniklieferungen).
2. ViDA-Reform (VAT in the Digital Age)
Der Zeitplan wurde von der EU inzwischen konkretisiert:
- 1.7.2028: Einführung der Single VAT Registration
- 1.1.2030: Änderungen bei Plattformregelungen
- 1.7.2030: Verpflichtendes E-Invoicing und Digital Reporting für innergemeinschaftliche Umsätze
Diese Änderungen haben Auswirkungen auf Prozesse, aber nicht unmittelbar auf die aktuellen Reverse-Charge-Tatbestände.
3. Reform der Kleinunternehmerregelung (ab 2025)
Neue Umsatzgrenzen:
- Vorjahr: bis 25.000 €
- Laufendes Jahr: bis 100.000 €
Auch Kleinunternehmer können Reverse Charge anwenden, z. B. bei Leistungen an EU-Unternehmen.
So erstellst du eine Reverse-Charge-Rechnung korrekt

Pflichtangaben:
klarer Reverse-Charge-Hinweis
vollständige Anschrift beider Unternehmen
Rechnungsdatum
Beschreibung der Leistung
Leistungsdatum
Nettobetrag
Reverse-Charge-Rechnungen mit easybill
easybill unterstützt die korrekte Erstellung von Reverse-Charge-Rechnungen:
- Vorlagen mit passenden Hinweisen
- Prüfung der USt-IdNr. für EU-Kunden
- Nettoausweisung für alle Reverse-Charge-Fälle
- Vorbereitung auf E-Invoicing gemäß ViDA
Häufige Fragen zum Reverse-Charge-Verfahren
Kann ich Reverse Charge auch als Kleinunternehmer anwenden?
Ja. Reverse Charge ist unabhängig vom § 19-Status.
Was passiert, wenn der Hinweis fehlt?
Der Leistende kann für die fehlende Umsatzsteuer haften. Das Finanzamt kann Nachforderungen erheben.
Wie prüfe ich die Unternehmereigenschaft?
Am sichersten über MIAS oder BZSt (USt-IdNr.-Prüfung).
Alternativ über eindeutige Geschäftsunterlagen (BFH 2024).
Gilt Reverse Charge für Kunden außerhalb der EU?
Nicht in der europäischen Form.
Bei Drittstaaten entsteht die Steuer oft lokal, aber der Mechanismus heißt dort nicht Reverse Charge.




